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Warum wir mähen – und wie wir dabei der Natur helfen

  • Autorenbild: Ruben Niebling
    Ruben Niebling
  • 11. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit

Es ist früher Morgen. Die Sonne steigt langsam auf, der Tau glitzert auf den Halmen. Eine Zivi-Einsatzgruppe und ich stehen ausgerüstet mit Balkenmäher und Freischneidern am Rand einer artenreichen Magerwiese. Gleich beginnen wir mit der Mahd – eine Arbeit, die auf den ersten Blick nach Zerstörung aussieht, in Wirklichkeit aber Lebensräume erhält.


Artenreiche Magerwiese in Blüte mit Wiesensalbei, Kartäusernelke und Wundklee.
Artenreiche Magerwiese in Blüte mit Wiesensalbei, Kartäusernelke und Wundklee.

Warum mähen wir?


Nach der letzten Eiszeit war die Schweiz fast vollständig von Wald bedeckt – und doch

blieb die Landschaft stellenweise offen. Damals sorgten grosse Pflanzenfresser wie Wisente, Auerochsen oder Wildpferde dafür, dass Wald und Offenland im Wechsel bestanden. Mit ihrem Verbiss, Tritt und Frass hielten sie Lichtungen frei.

Als diese Tiere, durch intensive Bejagung grösstenteils ausgerottet waren, übernahm der Mensch ihre Rolle. Zuerst durch Beweidung mit Schafen, Ziegen und Rindern, später durch die regelmässige Mahd mit Sichel und Sense, um Winterfutter zu gewinnen. So entstanden über Jahrhunderte jene Blumenwiesen, die wir heute als wertvolle Kulturlandschaft pflegen.

Ohne Mahd würden sich Gräser, Sträucher und Bäume rasch durchsetzen. Nach

wenigen Jahren wären die offenen Flächen verschwunden. Damit gingen auch die seltenen Arten verloren, die auf diese mageren und lichten Lebensräume angewiesen sind. Besonders artenreiche Magerwiesen zählen zu den Hotspots der Biodiversität. Sie bieten Lebensraum für hunderte Tierarten und fast ein Drittel aller Blütenpflanzen

der Schweiz. Auf einem einzigen Quadratmeter können über 40 Pflanzenarten

wachsen – von Wiesensalbei über Glockenblumen bis hin zu Orchideen (SRF, 2018). Doch diese Vielfalt bleibt nur erhalten, wenn wir mähen, das Schnittgut zusammenrechen und abführen. Das regelmässige Abführen des Schnittguts verhindert dabei die Anreicherung von Nährstoffen und erhält die Wiese als magerer Standort.


Wie wir mähen – unsere Grundsätze


Mähen ist immer ein Eingriff. Doch mit Fachwissen und Erfahrung lässt sich der Schaden für die Tierwelt stark verringern.


Zeitpunkt:


Wir mähen erst, wenn die meisten Pflanzen geblüht und Samen gebildet haben – in der Regel höchstens zweimal pro Jahr. Ein früher Schnitt auf einem kleinen Teil der Fläche – etwa im April – kann sinnvoll sein. Dabei werden vor allem Gräser getroffen, die im Frühling schnell wachsen und andere Pflanzen beschatten. Durch das Kürzen verlieren sie an Kraft, und später austreibende Blütenpflanzen bekommen mehr Licht und Platz.


Mosaik & Staffelung:


Wir lassen etwa 20 % der Fläche stehen. So entstehen Rückzugsorte für Insekten und Kleintiere. Bei grossen Flächen mähen wir zeitlich gestaffelt, damit immer ein Teil blüht und Nahrung bietet. Auch im Herbst sollten mindestens 10 % der Fläche stehen bleiben – die trockenen Pflanzenstängel und Samenstände dienen vielen Insekten als Winterquartier.


Schonender Schnitt mit dem Balkenmäher
Schonender Schnitt mit dem Balkenmäher

Schonende Geräte:


Sense, Balkenmäher und motorisierte Heckenscheren schneiden sauber, ohne das Schnittgut zu zerhacken. Sie schneiden das Gras, statt es zu häckseln, und zerstören weder Samen noch Kleintiere – Tiere können fliehen und Pflanzen regenerieren sich besser. Deshalb geben wir diesen Geräten den Vorzug.


Im Unterschied dazu arbeiten rotierende Geräte wie Rasenmäher, Fadenmäher oder Mähroboter mit schnell drehenden Messern. Sie schlagen die Halme ab, erzeugen einen Luftstrom und häckseln das Schnittgut fein – dabei werden auch Samen und viele kleine Tiere zerstört. Untersuchungen zeigen, dass solche Geräte bis zu 70 – 100 % der Insekten und Kleintiere verletzen oder töten können.


Ebenso passiert dies in der Landwirtschaft: Dort kommen oft Kreiselmähwerke oder Schlegelmulcher zum Einsatz. Sie arbeiten schnell und zerschlagen das Schnittgut – mit verheerenden Folgen für Amphibien und Insekten. Nicht selten werden bis zu 90 % der Fauna durch diese Vorgänge getötet (Amt für Umwelt Kanton Aargau, 2004).


Bedeutung für Bestäuber


Zu frühes Mähen zerstört die Brut- und Lebensräume vieler Tierarten. Die heutige

Direktzahlungsverordnung regelt den frühsten Mähtermin für Ökowiesen (meist der 15. Juni). Dadurch wird sichergestellt, dass die meisten Tier- und Pflanzenarten ihren Aufzucht- und Lebenszyklus abschliessen können. Doch dadurch entsteht ein

Aus Schnittgut erstellte Heutriste als ökologische Kleinstruktur für Igel, Blindschleiche und Insekten.
Aus Schnittgut erstellte Heutriste als ökologische Kleinstruktur für Igel, Blindschleiche und Insekten.

ungewollter Nebeneffekt: Kaum ist dieser Stichtag erreicht, wird in der ganzen Schweiz

gleichzeitig gemäht und das Blütenangebot bricht abrupt zusammen. Für Bestäuber bedeutet das eine plötzliche Nahrungsknappheit mitten im Sommer. Mit zeitlich gestaffelter Mahd sorgen wir dafür, dass immer irgendwo etwas blüht.


Wohin mit dem Schnittgut?


Das Schnittgut bleibt zunächst zwei bis drei Tage auf der Fläche liegen. So können Insekten fliehen, und die Pflanzen werfen noch ihre Samen ab. Danach wird es zusammengerecht und in nahegelegenen Kompostier- oder Biogasanlagen entsorgt. Wo es passt, nutzen wir es direkt vor Ort: Heutristen bieten Igeln, Reptilien und Insekten wertvolle Rückzugsorte.




Beispiele aus unserer Arbeit


Damit es nicht bei Theorie bleibt, hier zwei Beispiele, wo wir mit Schulklassen und Zivis mit der Mahd ganz konkret Lebensräume gesichert haben:


  • Wehrenbachtobel, Zürich: In diesem Feuchtgebiet pflegen wir jedes Jahr Wiesenhänge mit der Sense, um Libellen und gefährdete Köcherfliegen zu fördern. Durch die schonende Mahd bleiben Wassergräben und Feuchtstellen erhalten – ein Paradies für Insekten. Zum Projektbericht

  • Wiesenpflege Scata-Calvari, GR: In den steilen Terrassenwiesen von Scatà-Calvari mähen wir gemeinsam mit dem Landwirt die Flächen, räumen Ränder und Kanäle und schneiden Sträucher zurück, damit die mühsam wiederhergestellten Trockenwiesen nicht erneut verbuschen. Die Arbeit lohnt sich: Zwischen den Trockenmauern leben heute wieder Reptilien, Kleinsäuger und Insekten – 2024 wurde sogar erstmals seit über zehn Jahren eine Haselmaus im Calanca-Tal gesichtet. Die Pflege wird jährlich fortgeführt, um diesen einzigartigen Lebensraum zu erhalten. Zum Projektbericht


Tipps für zu Hause!


Auch im eigenen Garten können Sie viel für die Natur tun:


  • Mähen Sie nur 2 × im Jahr – ca. Ende Juni und nochmals im Oktober.

  • Nie alles auf einmal mähen – lassen Sie immer genügend Rückzugsflächen stehen.

  • Mähen Sie mit einem schonenden Gerät – idealerweise mit der Sense.

  • Das Grüngut nicht entsorgen, sondern als kleine Triste oder einfach als Heuhaufen aufschichten – ein Paradies für Insekten, Reptilien und Kleinsäuger.

  • Mähen Sie nicht zu früh am Morgen – viele Insekten und Tagfalter sind dann noch inaktiv und können nicht fliehen.

  • Lassen Sie über den Winter mindestens 10 % der Fläche ungemäht, damit Insekten in Stängeln und Samenständen überwintern können.

  • Verwenden Sie keine rotierenden Mähgeräte wie Fadenmäher, Rasenmäher oder Mähroboter – sie zerstören viele Kleintiere.

  • Für kleinere Flächen eignen sich Sichel oder Heckenschere – damit können Sie gezielt Teilbereiche schneiden.

  • Wenn Sie motorisierte Geräte einsetzen, achten Sie auf eine Schnitthöhe von mindestens 10 cm, um bodennahe Tiere zu schonen.


Fazit


Mähen bedeutet bei uns nicht Zerstörung, sondern Pflege: Wir sichern Lebensräume, bewahren Artenvielfalt und verbinden Tradition mit praktischem Naturschutz. Unsere Erfahrung zeigt, wie wichtig fachgerechte Mahd ist. So tragen wir dazu bei, dass auch kommende Generationen über bunte Wiesen voller Orchideen, Schmetterlinge und summenden Insekten staunen können.


Wollen Sie sich mit uns für den Naturschutz einsetzen? Schauen Sie sich unsere Mitwirkangebote an!



Autor:


Ruben Niebling


Quellen:


  • Amt für Umwelt Kanton Aargau (2004): Wiesenkartierschlüssel. Mit Grundsätzen zur Wiesenbewirtschaftung aus der Sicht des Naturschutzes. Sondernummer 17, Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Abteilung Landschaft und Gewässer, Aarau.

  • Gorthner, A. (2021): Insektenfreundliche Grünlandpflege. BNA Naturschutz, Deutschland.

  • Humbert, J. Y., Richner, N., Sauter, J., Walter, T. & Ghazoul, J. (2010): Wiesen-Ernteprozesse und ihre Wirkung auf die Fauna. ART-Bericht Nr. 724, Agroscope Reckenholz-Tänikon, Zürich.

  • Jansen, J. & Landolt, J. (2022): Merkblatt Mähen. Förderverein Natur im Siedlungsraum, Zürich.

  • Landolt, J. (2017): Auswirkungen verschiedener Schnittverfahren auf die Vegetation von ungedüngten Fromental- und Magerwiesen. Agrofutura AG, Schweiz.

  • Richner, N., Thiel-Egenter, C., Nienhuis, C. & Schyder, J. (2019): Einfluss verschiedener Unterhaltmethoden an Böschungen auf Fauna und Flora. Bundesamt für Umwelt (BAFU) / UVEK, Bern.

  • SRF (2018): Blumenwiese richtig mähen – für mehr Artenvielfalt. Schweizer Radio und Fernsehen, Sendung „Mission Biodiversität“.

  • Van der Poel, D. & Zehm, A. (2014): Die Wirkung des Mähens auf die Fauna der Wiesen – eine Literaturauswertung für den Naturschutz. ANLiegen Natur 36(2): 36–51, Laufen.

 
 
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