Trockenmauern – warum es mehr davon braucht und wie es geht
- Guido Fernandez Koch

- 10. Nov.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Nov.
Was kann man schon mit einem Stein für die Natur tun?
Allein nicht viel. Aber wenn man genügend Steine zusammenträgt – in verschiedenen
Formen und Grössen – entsteht etwas Grosses: Eine Trockenmauer, ein Lebensraum aus traditioneller Handarbeitskunst, Geduld und Naturverständnis.
Trockenmauern aus Stein sind traditionelle Bauwerke mit neuer Wertschätzung. Sie stabilisieren Hänge, gliedern Landschaften und bieten Tieren und Pflanzen wertvolle Lebens- und Rückzugsräume. Über Jahrhunderte prägten sie die Kulturlandschaft der
Schweiz – von den Rebhängen im Wallis bis zu den Weiden im Jura. Heute sind viele dieser Strukturen verschwunden oder zerfallen. Doch dank engagierter Freiwilliger, Zivildienstleistender und Organisationen wie dem Naturnetz erleben sie eine Renaissance.
Warum Trockenmauern so wertvoll sind
Trockenmauern sind weit mehr als alte Landschaftselemente: Sie sind Hotspots der Biodiversität. Zwischen Spalten, Ritzen und Hohlräumen finden spezialisierte Arten ideale Bedingungen – sicher und geschützt. Eine gut gebaute Trockenmauer bietet Lebensraum für unterschiedlichste Bedürfnisse: Besonnte und schattige, warme und gekühlte, sowie trockene als auch feuchte Bereiche. Aussen heizen sich die Steine auf und schaffen Sonnenplätze für Reptilien; im Inneren bleibt es feucht und ausgeglichen – ideale Rückzugsräume für Amphibien, Spinnen oder Insekten. So entstehen auf wenigen Quadratmetern ganz unterschiedliche Kleinlebensräume, die sich gegenseitig ergänzen.
Typische Bewohner und Pflanzen
Mauereidechsen, Blindschleichen und Molche als Untermieter in den Hohlräumen
Wildbienen wie Pelz- und Mörtelbienen, die in den Fugen Nester aus Erde und Lehm bauen
Hauswurz, Thymian, Mauerpfeffer, Zimbelkraut und andere trockenheitsliebende Pflanzen auf den Mauerkronen
Igel, Spinnen und Asseln, die Zwischenräume als Rückzugsort oder Winterquartier nutzen
Bilder: Mörtelbiene; Blindschleiche und Zimbelkraut
Je nach Region und Mauertyp können auch Smaragdeidechsen, Schlingnattern oder verschiedene Kleinsäuger wie Spitzmäuse oder Fledermäuse vorkommen. Mit dem Bau oder der Pflege einer Trockenmauer entstehen komplexe, ökologisch wertvolle Strukturen, inmitten der Kulturlandschaft. Sie bieten Nahrung, Schutz und Struktur für Mensch und Natur zugleich.
How to: So gelingt eine Trockenmauer
Das Errichten einer Trockenmauer ist Handwerk, Teamarbeit und Naturschutz in einem. Folgende Punkte gilt es zu beachten:
📍 Standortwahl & Genehmigung
Der Standort sollte sonnig, trocken und gut drainiert sein – am besten südexponiert.
Ideal sind Böschungen, Hanglagen oder Geländeübergänge mit direktem Erdkontakt.
Entscheidend ist eine gute Hintermauerung für eine gute, dauerhafte Verbindung des Erdreiches mit der Trockenmauer: Nur wenn Fundament und Rückseite offen mit dem Boden verbunden bleiben, können Kleintiere den in und hinter der Mauer liegenden Lebensraum nutzen.
In Gärten oder kleineren Projekten sind Trockenmauern meist bewilligungsfrei, solange sie keine tragende Funktion übernehmen.
🪨 Materialwahl & Regionalität
Verwenden Sie regionaltypische Gesteine (z. B. Kalkstein, Schiefer, Granit), damit sich die Mauer harmonisch in die Landschaft einfügt.
Unterschiedliche Gesteinsarten schaffen unterschiedliche Bedingungen: Kalkstein fördert basenliebende Pflanzen wie Mauerraute oder Blasenfarn, während Granit oder Gneis saure Bedingungen schaffen, die Moose und Flechten bevorzugen.
Nur magere Substrate wie Schotter oder Sand als Untergrund – keine nährstoffreiche Erde verwenden.
Im lokalen Steinbruch gibt es oft günstige Restposten oder Bruchsteine aus der Region.
⚒️ Werkzeuge & Vorbereitung

Bevor es losgeht, lohnt sich eine gute Vorbereitung. Zum Grundwerkzeug gehören Schaufel, Pickel, Hammer, Brecheisen, Richtschnur und Wasserwaage und natürlich auch Schutzbrille und Handschuhe. Tragen Sie zuerst den Oberboden ab und legen Sie ein stabiles, ebenes Fundament an. Die Mauer sollte leicht gegen den Hang geneigt sein – etwa zehn bis fünfzehn Prozent reichen, damit sie sich selbst stabilisiert. Als Faustregel gilt: Bei einer Mauerhöhe von einem Meter sollte das Fundament rund siebzig Zentimeter breit sein. So entsteht eine solide Basis, auf der die Mauer viele Jahre sicher steht.
🧩 Aufbau Schritt für Schritt
Jetzt beginnt der schönste Teil – das eigentliche Schichten der Steine.
Starten Sie mit grossen Steinen in der untersten Reihe. Sie bilden das Fundament und tragen das Gewicht der gesamten Mauer.
Die Steine sollten mit ihrer breiten Seite nach unten liegen und leicht nach hinten geneigt gesetzt werden, sodass sie sich an den Hang anlehnen. So verteilt sich das Gewicht gleichmässig und die Mauer bekommt Halt.
Beim Schichten gilt die wichtigste Grundregel im Trockenmauerbau: Ein Stein liegt immer über zwei, und zwei liegen über einem. So vermeiden Sie sogenannte Kreuzfugen – also senkrechte Fugen, die direkt übereinanderliegen. Kreuzfugen sind Schwachstellen: Sie unterbrechen den Kraftfluss, schwächen die Verzahnung und können zum Aufbrechen der Mauer führen. Setzen Sie die Steine daher versetzt.
Achten Sie darauf, dass jeder Stein vorne bündig aufliegt und nicht in der Mitte kippelt. Ideal ist, wenn er mit mindestens drei Punkten aufliegt – so sitzt er stabil und kann sich auch bei Frost oder Setzung nicht bewegen. Zum Test können Sie sich beim Baufortschritt regelmässig auf den äussersten Teil der Mauer draufstellen, so merken Sie schnell, ob etwas wackelt.
Etwa alle ein bis zwei Meter sollte ein sogenannter Binderstein eingebaut werden – ein längerer Stein, der die Mauern mit der Hintermauerung verbindet. Er wirkt wie eine „Klammer“ und verhindert, dass sich die Mauer mit der Zeit auseinanderdrückt.
Arbeiten Sie sich so Schicht für Schicht nach oben, wobei jede Reihe leicht nach hinten versetzt sein darf. Kleine Unregelmässigkeiten oder Absätze sind erwünscht – sie verleihen der Mauer Stabilität und schaffen zusätzliche Lebensräume für Pflanzen und Tiere.
Zum Schluss folgen die Decksteine: grössere, stabile Steine, die oben quer aufgelegt werden. Sie schützen die Mauer vor Regen und Frost, geben ihr Gewicht von oben und dienen Reptilien als sonnige Ruheplätze.
Geduld gehört dazu
Eine neu gebaute Trockenmauer ist anfangs noch wenig belebt. Erst mit der Zeit – über Jahre hinweg – besiedeln Moose, Flechten und später spezialisierte Pflanzen und Tiere die neuen Hohl- und Zwischenräume. In der Nähe alter Mauern oder naturnaher Flächen geht das deutlich schneller, weil Samen und Tiere von dort einwandern können. Mit Geduld und minimaler Pflege entsteht nach und nach ein lebendiges Gefüge, das sich selbst erhält.
Langfristpflege & Instandhaltung
Trockenmauern brauchen wenig Pflege – aber die richtige. Gelegentlich lohnt sich ein genauer Blick: Liegen Steine locker? Wachsen Wurzeln in den Kronenbereich hinein? Haben sich Risse gebildet? Solche Beobachtungen reichen meist aus, um rechtzeitig zu reagieren. Der Herbst ist die beste Zeit für kleinere Arbeiten. Dann ist es noch mild, viele Tiere ziehen sich bereits zurück, und die Mauer ist gut zugänglich. Im Winter hingegen sollten Sie auf Eingriffe verzichten – jetzt überwintern Eidechsen, Amphibien und Insekten tief in den Spalten und Fugen. Halten Sie den oberen Rand frei von Sträuchern und stark wurzelnden Pflanzen, damit der Steinverband stabil bleibt. Verzichten Sie auf gründliche „Säuberungsaktionen“: Moose, Flechten und kleine Kräuter gehören dazu – sie schützen die Steine, binden Feuchtigkeit und bieten Lebensraum. Auch Laub darf bleiben. Es wirkt wie eine natürliche Decke, hält die Feuchtigkeit im Boden und bietet Unterschlupf für Igel, Insekten und Amphibien.
Kleinprojekte & Alternativen
Nicht jeder hat Zeit und Platz für eine grosse Trockenmauer – aber auch kleinere Strukturen können erstaunlich viel bewirken. Steinhaufen sind der einfachste Einstieg: lose aufgeschichtete Steine, vielleicht ergänzt mit etwas Totholz, Wurzelstöcken oder Sand, werden rasch zum Lebensraum für Insekten, Reptilien und Kleinsäuger.

Eine andere Möglichkeit sind Lesesteinriegel. Dabei werden zusammengetragene Steine – etwa vom Feld oder von Pflegemassnahmen – locker zu einem niedrigen Wall aufgeschichtet, meist am Rand einer Wiese oder eines Hanges. Auch kleine Mauerabschnitte oder bepflanzte Steininseln können wertvolle Übergänge zwischen Siedlung und Natur schaffen. Wer den Platz hat, kombiniert solche Strukturen mit Hecken, Asthaufen oder extensiv gepflegten Wiesen – so entsteht ein lebendiges Mosaik aus Kleinbiotopen, das Lebensräume vernetzt und Vielfalt fördert.
💪 Erfahrungsbericht Trockenmauer - Ein Einsatz, der verbindet
Im Sommer begleitete ich eine von Jan Habegger geleitete Gruppe von Zivildienstleistenden beim Bau einer Trockenmauer in Opfikon. Handschuhe, Meissel, Doppelmeter, Sonnencreme – und los! Unser Ziel: eine stabile Mauer errichten, die nicht nur den Hang stützt, sondern auch Lebensraum für Tiere und Pflanzen schafft. Der Anfang war mühsam. Die passenden Steine zu finden, sie so zu platzieren, dass sie sich gegenseitig halten – das erforderte Geduld und Gefühl. Doch mit jedem gesetzten Stein wuchs die Freude und der Stolz: Hier entsteht etwas Dauerhaftes.
Bild: Jan Habegger; Zivildienstleistender im Handstand; eingebaute Lücken für Tiere
Schon während der Arbeit achteten wir darauf, gezielte Lücken zu lassen – kleine Verstecke für Eidechsen, Amphibien, Wildbienen und Igel. In den kommenden Jahren werden sich Moose und trockenheitsliebende Pflanzen ansiedeln und so ein vielfältiges Mini-Biotop entstehen.
Unsere Mauer in Opfikon liegt auf einer ehemaligen Asphaltfläche. Heute beginnt dort langsam neues Leben: Spinnen, Ameisen und Eidechsen erkunden die warmen Spalten, erste Moose und Thymian keimen zwischen den Steinen. In einigen Jahren werden sich hier wahrscheinlich ganze Eidechsen-Familien ansiedeln, begleitet von flatternden Schmetterlingen und summenden Wildbienen.

Fazit: Eine alte Kunst für die Zukunft
Trockenmauern sind Teil unseres kulturellen Erbes. Schon vor Jahrhunderten schichteten Bauern sie aus lokalem Material – ganz ohne Mörtel, aber mit viel Geschick und Erfahrung. Heute werden sie vielerorts restauriert oder neu gebaut, um diese Tradition lebendig zu halten und zugleich Lebensräume zurückzubringen. Sie sind Kulturerbe, Handwerkskunst und Naturschutz in einem. Sie zeigen, wie nachhaltige Landschaftsgestaltung aussehen kann – greifbar, lokal und ökologisch wirksam. Und sie erinnern uns daran, dass echter Naturschutz oft mit ganz einfachen Mitteln beginnt – Stein für Stein. Das Naturnetz unterstützt Gemeinden, Schulen, Firmen und Freiwillige beim Bau und Unterhalt solcher Mauern – fachlich begleitet und naturnah umgesetzt.
Wollen Sie sich mit uns für den Naturschutz einsetzen? 👉 Schauen Sie sich unsere Mitwirkangebote an!
Autor:
Guido Fernandez Koch
Quellen:
Gasser, T. 2025. Zivildienst sorgt für Renaissance beim Trockenmauerbau. [https://www.srf.ch/news/schweiz/debatte-ueber-wehrpflicht-zivildienst-sorgt-fuer-renaissance-beim-trockenmauerbau].
Stiftung Umwelteinsatz Schweiz. 2014. Trockenmauern: Grundlagen, Bauanleitung, Bedeutung. Haupt Verlag, ISBN 978-3-258-0-7705-5.
Timm, I. 2021. Gartenplanung leicht gemacht. EMF Verlag, ISBN 978-3-7459-0819-0.













