Die lautlose Jägerin der Trockenwiesen vom Aussterben bedroht
- kommunikation399
- 24. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Nov.
Wenn an einem heissen Sommertag die Trockenrasen zirpen, fehlt ein Klang fast überall: das Singen der Heuschrecken. Viele Arten sind verschwunden – doch eine urtümliche Jägerin lauert noch an sehr wenigen Orten im Verborgenen: die Grosse Sägeschrecke. Heute besiedeln 100 Mal weniger Heuschrecken die Schweiz als noch vor 50 Jahren – schuld daran ist ihr Rückgang an Lebensräumen. Aber eine urtümliche Räuberin hält noch stand.
Obwohl die Grosse Sägeschrecke eine der grössten Insekten Mitteleuropas ist, braucht es sehr viel Geduld, und ziemlich viel Glück, um sie mit ihrer perfekten Tarnung zu sichten. Sie ist in der Schweiz vom Aussterben bedroht und man findet sie nur noch an ganz wenigen Orten: im Bündner Rheintal und im Rhoneknie im Wallis. Sie ist nicht nur sehr selten, sondern auch sehr besonders in ihrer Lebensweise. Und wer es noch nicht weiss – es ist eine Sie! Denn Männchen, die kann man lange suchen, die gibt es (fast) nicht. Zudem ist sie lautlos; die meisten Heuschreckenarten erzeugen Laute, indem sie entweder die Flügel gegeneinander reiben (Langfühlerschrecken) oder die Hinterbeine über die Flügel streichen (Kurzfühlerschrecken). Damit markieren sie ihr Revier oder locken Partner an. Die Grosse Sägeschrecke hingegen bleibt völlig still – ohne Männchen braucht sie keine Lockgesänge und bleibt auch akustisch unsichtbar.
Ein Stachel, der nicht sticht

Die bis zu 11 cm grosse Saga Pedo hat viele Eigenheiten. Siehst du die spitzigen Dornen an den Beinen? So kann sie ihre Beute am Unterbauch festhaken. Am Hinterteil hat sie noch einen längeren, bedrohlich aussehenden Stachel, der aber zur Eiablage dient. Und jetzt kommt die schräge Geschichte: Bis heute ist von der Heugumperart erst ein einziges Männchen gefunden worden, und zwar im Wallis vor 19 Jahren! Im fehlte der Stachel, so erkennt man die Männchen, denn dieser Stachel dient den Weibchen zur Eiablage. Die Saga Pedo pflanzt sich parthenogenetisch fort – das bedeutet, die Weibchen legen Eier, die sich ohne Befruchtung entwickeln. Sie legt ihre Eier in offene und besonnte Bodenbereiche, wo sie zwei bis fünf Jahre überdauern können, bevor Nymphen schlüpfen – ein cleverer Überlebensmechanismus für unbeständige Habitate. Ähnlich wie bei Bienen, Ameisen und anderen Insektenarten, entstehen aus den unbefruchteten Eiern Weibchen.
Ein Heugümper, der nicht gumpen kann…
Der Grund, warum sie so selten geworden ist, liegt nicht nur daran, dass sie nicht springen kann. Ihr Lebensraum steht unter Druck. Die grosse Sägeschrecke, auch Saga pedo genannt, braucht Wärme, Gebüsche und hohes Grasland, damit sie anderen Insekten, insbesondere andere Heuschreckenarten, auflauern kann. Denn ja, die Saga pedo ist räuberisch und ziemlich gefrässig, sie nimmt es sogar mit der Gottesanbeterin auf. Zuerst frisst sie den Kopf, damit sich die Beute nicht mehr bewegt, und dann den Rest.
Aber zurück zum Lebensraum: strukturreiche Trockenrasen sind in der Schweiz selten geworden, da sie Rebberge und Landwirtschaftsflächen gewichen sind. Die Trockenwiesen, die es noch gibt, sind wirtschaftlich uninteressant. Sie verbuschen, weil die traditionelle Nutzung aufgegeben wurde. Ohne regelmässige Pflege werden die Sträucher zu dicht, das offene, sonnige Mosaik geht verloren – und mit ihm die Artenvielfalt. Genau da kommt das Naturnetz zum Einsatz!
Was machen wir konkret?
Wir Entbuschen! Sträucher, die mit der Zeit in die Breite gewachsen sind, werden von uns regelmässig selektiv zurückgedrängt, um der Trockenwiese wieder mehr Raum zu geben. Dadurch soll ein Mosaik aus offenen Weideflächen und leichter Verbuschung entstehen, in der sich die Sägeschrecke, aber auch andere Heuschreckenarten wohlfühlen. Man könnte das auch durch eine extensive Beweidung mit Schafen machen, wie es Studien in Österreich beweisen. Auch bei uns im Churer Rheintal wird dieser Pflegeansatz erprobt, in dem die Schafe für eine kurze Zeit im Frühling und im Herbst ausgewählte Flächen beweiden.

Was ist daran herausfordernd oder besonders spannend?
Die Fels-Trockenrasen befinden sich an steilen Süd-Hängen, was ziemlich gefährlich sein kann, wenn man mit Maschinen, wie Motorsägen oder Freischneider arbeitet. Der Vorteil; beim langsamen Klettern durchs Gelände bleibt genug Zeit für die Betrachtung der einzigartigen Flora und Fauna. Wenn es um seltene oder bedrohte Arten geht, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand: Wie steht es um die Sägeschrecke in Europa oder gar weltweit? Man findet sie heute nur noch in Teilen Süd- und Südosteuropas – und sonst nirgends!
Warum wir das tun
Die Grosse Sägeschrecke ist nicht nur ein faszinierendes Insekt, sondern auch ein Symbol für den Verlust an Lebensräumen. Mit ihr verschwinden ganze Lebensgemeinschaften, die auf strukturreiche Trockenrasen angewiesen sind. Indem wir diese Flächen pflegen, schaffen wir wertvolle Rückzugsräume – nicht nur für die Sägeschrecke, sondern für unzählige andere Arten. Der Schutz der Biodiversität gelingt nur, wenn wir solche Lebensräume erhalten und fördern. Darin liegt die zentrale Aufgabe vom Naturnetz: Natur pflegen, Vielfalt bewahren, Zukunft sichern.

