Zirpen erwünscht: Wie die Feldgrille ans Kloster Fahr zurückfand
- simongisler1
- 11. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Ein leiser Klang verschwindet
Es beginnt mit einem Ton – kaum hörbar, kaum beachtet. Das zirpende Lied der Feldgrille begleitet warme Frühlingstage, ein rhythmischer Klang aus dem Boden, der einst weite Teile unserer Landschaft erfüllte. Doch heute ist es an vielen Orten still geworden. Die Feldgrille (Gryllus campestris), einst weit verbreitet in extensiv genutzten Wiesen, Böschungen und Wegrändern, ist in der Schweiz wie in vielen Teilen Europas stark gefährdet – oder bereits verschwunden.
Ihr Rückgang hat klare Gründe: Die Intensivierung der Landwirtschaft, der Verlust von Magerwiesen, häufiges Mulchen, Bodenverdichtung und die Zerstückelung ihrer Lebensräume durch Strassen oder Siedlungen haben dafür gesorgt, dass sie vielerorts keinen geeigneten Lebensraum mehr findet. Anders als viele Insekten kann die Feldgrille sich nicht in die Lüfte retten – sie ist flugunfähig. Neue Lebensräume kann sie nur kriechend erreichen, und das nur über kurze Distanzen. Wo Lücken im Lebensraumnetz bestehen, reisst ihre Verbreitung abrupt ab.
Dabei erfüllt sie eine wichtige Rolle im Ökosystem. Die Feldgrille ist ein Glied in der Nahrungskette, dient unter anderem dem Turmfalken, dem Wiedehopf oder Reptilien wie der Zauneidechse als Beute. Ihre selbstgegrabenen Erdröhren lockern den Boden und ihre Präsenz gilt als Indikator für naturnahe, artenreiche Lebensräume. Ihr Verschwinden ist nicht nur ein Verlust an Biodiversität – es ist auch ein stiller Verlust an Klang und Charakter unserer Landschaft.
Ein Pilotprojekt mit Potenzial
Um diesem stillen Rückzug etwas entgegenzusetzen, startete der Verein Naturnetz im Jahr 2021 ein ungewöhnliches Projekt: die kontrollierte Wiederansiedlung der Feldgrille im Gebiet rund um das Kloster Fahr bei Zürich. Es war ein Pilotversuch – und zugleich ein wissenschaftlich spannender Feldtest. Denn in der Schweiz gibt es bislang kaum Erfahrung mit der Wiederansiedlung dieser Art.
Die Tiere, genauer gesagt junge Larven, stammten aus einer gesunden Ursprungs-Population. Sie wurden gezielt in aufgewerteten Trockenlebensräumen ausgesetzt: in sonnigen, extensiv gepflegten Flächen mit lückiger Vegetation – Bedingungen, wie sie die wärmeliebende Grille bevorzugt. Im Vorfeld wurde die Eignung des Standorts geprüft, und auch nach der Aussetzung folgte eine intensive Begleitung durch Monitoring und Erfolgskontrollen.
Lernen von der Grille
Die Herausforderung bei diesem Projekt lag nicht nur in der Umsetzung, sondern auch in den offenen Fragen: Bleiben die Tiere am neuen Ort? Können sie sich erfolgreich fortpflanzen? Und wie lassen sich Fortschritte überhaupt messen?
Die Feldgrille lebt in selbstgegrabenen Erdröhren mit kleinen „Arenen“ davor, von denen aus die Männchen ihre charakteristischen Balzgesänge ertönen lassen. Genau diese Gesänge dienen als Monitoring-Grundlage: Gezählt wird, wer wo singt – und ob sich neue Standorte auftun. Erste Beobachtungen zeigten: Die Tiere blieben tatsächlich in der Umgebung, ihre Standorte veränderten sich nur geringfügig. Und: Südlich ausgerichtete Röhren werden offenbar bevorzugt – vermutlich wegen der besseren Sonneneinstrahlung.
Auch die Pflege der Flächen spielt eine Rolle. Studien deuten darauf hin, dass eine gezielte Beweidung – zum Beispiel mit Schafen – das Habitat aufwerten kann, indem sie die Vegetation kurz hält und den Boden leicht öffnet. Solche Bedingungen kommen den Grillen zugute, da sie offene, strukturreiche Mikrohabitate brauchen, um sich zu sonnen, zu paaren und ihre Eier abzulegen.
Artenschutz auf sechs Beinen
Die Feldgrille ist eine sogenannte „Zielart“ – ihr Vorkommen weist auf einen funktionierenden Lebensraum hin. Und genau deshalb hat ihre Rückkehr eine Bedeutung, die weit über ein einzelnes Insekt hinausgeht. Zielarten sind strategische Verbündete im Naturschutz: Sie helfen dabei, Flächen zu bewerten, Massnahmen zu optimieren und öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen – und sie zeigen, dass auch kleine Interventionen grosse Wirkung haben können.
Das Projekt beim Kloster Fahr ist noch nicht abgeschlossen. Eine stabile, sich selbst erhaltende Population lässt sich erst über mehrere Jahre sicher nachweisen. Doch schon jetzt liefert der Versuch wichtige Erkenntnisse – für die Praxis, für die Forschung und für kommende Projekte.
Ein Ton, der Hoffnung macht
Das leise Zirpen der Feldgrille mag vielen unbedeutend erscheinen. Doch wer genauer hinhört, erkennt: Es ist der Soundtrack einer vielfältigen, lebendigen Landschaft. Ein Zeichen dafür, dass Arten zurückkehren können – wenn wir ihnen Raum geben, Geduld haben und genau hinschauen.
Und manchmal beginnt genau so ein Umdenken: mit einem einzigen Ton, den man fast vergessen hätte.